Vom Passah zum Kreuz – Passionskonzert Kammerorchester musica salutare
Tiefgründig – bewegend – anders.
Mit diesen Schlagworten skizzierte ein Konzertbesucher seine Empfindungen nach dem Konzert im Gospel Forum Stuttgart am 31. März 2018. Insbesondere die in die Improvisation eingebundenen Choräle hätten ihn besonders berührt. „Harmonisch fließend und dabei wunderbar exakt aufeinander abgestimmt“ seien die Instrumentalstimmen zu einem einmütigen Lobgesang zusammengeschmolzen und altehrwürdiges Kirchliedgut wie Gott ist gegenwärtig und Christe, du Lamm Gottes in einem ganz neuen Glanz interpretiert worden.
Die Improvisation über Bibelworte wurde über die Jahre zu einem Markenzeichen des Kammerorchesters musica salutare: ausgewählte Bibelverse – dem Thema Passion gemäß waren es diesmal Verse aus Lukas 22 und 23 – setzen die Musikerinnen und Musiker spontan in Klänge um. Zwar liegt ihnen jeweils ein harmonisches Gerüst zugrunde, das dafür sorgt, dass die Grundharmonie gegeben und das freie Spiel strukturiert ist, welche Melodien und Klänge den Instrumenten aber im Konzertfall entlockt werden, wird nicht geprobt. Im Zentrum der Improvisation steht vielmehr die ganz persönliche Gottesbegegnung. Das Orchester stellt sich in den Dienst der biblischen Botschaft und Gott wirkt durch das Gehörte, sodass eine Konzertbesucherin etwa bewegt bezeugte, „den Himmel offen“ gesehen zu haben. Dass die Konzerte, dem Namen des Ensembles musica salutare entsprechend, Balsam für die Seele, ja buchstäblich heilsam sind, liegt der Leiterin Adelheid Abt sehr am Herzen. Neben allem künstlerischen Anspruch zeichnet diese Haltung ihre Arbeit aus.
Der durchdachten Dramaturgie des Konzerts wurde man gleich zu Beginn des Abends gewahr. Adelheid Abt (Violine) betrat ganz alleine die Bühne und eröffnete das Konzert mit Georg Philipp Telemanns Fantasie Nr. 3 in f-Moll. Kraftvoll und strahlend sowie zerbrechlich und fragil muteten die Töne der viersätzigen Fantasie an und boten ein eindrucksvolles Bild davon, welch‘ mannigfaltigen Gefühle Jesus auf seinem Leidensweg durchlitten haben muss. So einsam und verlassen jedenfalls wie Adelheid Abt mit ihren Violinklängen den Saal füllte, so einsam und verlassen war Jesus in der Sterbestunde.
Ganz anders geartete Klänge folgten. Ernest Blochs Concerto grosso Nr. 1 für Streicher und obligates Klavier bildete einen Kontrast zu dem zarten Konzertbeginn, wie er drastischer kaum hätte sein können. Schon im eröffnenden Prélude war die Stärke und Willenskraft, die dem Werk anhaftet, unverkennbar. Schmetternde, rhythmisch akzentuierte Fortissimo-Akkorde machen Raum für ein Klangspektakel der ungewöhnlichen Art. Ungewöhnlich, da sich Bloch einer Tonsprache bedient, die von den ihn umgebenden Verfechtern der musikalischen Avantgarde – Bloch komponierte das Werk 1925 – als überholt und nicht mehr zeitgemäß diffamiert war. Anders als das unter Komponisten allgegenwärtige Bestreben, sich von der Dur-Moll-Tonalität abzuwenden und eine neue Satztechnik zu entwickeln, bediente sich Bloch gerade jener Tonalität. Dennoch und damit seinen Kritikern zum Trotz überzeugte Blochs Concerto grosso schon bei der Uraufführung in Cleveland, Ohio, über alle Maßen. Zwar in eine klassiche Form gekleidet – dem Prélude folgen ein Klagegesang (Dirge), eine Pastorale und eine Fugue – gelingt es dem Komponisten mithilfe eingängiger Melodien und aufrüttelnder rhythmischer Akzentuierungen, ein meisterhaft modernes Werk zu schreiben, das alles andere als modernden Geruch verströmt. Raffinesse etwa zeigt der schweizerisch-amerikanische Komponist durch die das Concerto grosso durchsetzenden jüdisch inspirierten Klänge. Die Nähe Blochs zu jüdischer (Volks-)Musik hat familiäre Wurzeln – sein Vater war Rabbiner in der Heimatstadt Genf.
Nach der den Leidensweg Jesu nachzeichnenden Improvisation, die einmal mehr die Stärke des Orchesters, Wortsprache in Tonsprache wiederzugeben, unterstrich und die Hörerinnen und Hörer wie eingangs skizziert tief bewegte, fand das Passionskonzert mit einem Klassiker der Kammermusik Johann Sebastian Bachs einen beschwingten Abschluss. Adelheid Abt und Vera Neumann brillierten in Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043 mit durchweg nuanciert abgestimmter barocker Spielkunst. Nach dem innig vorgetragenen zweiten Satz, einem Siciliano, in dem die Solostimmen regelrecht zu schweben schienen, überzeugte vor allem der als Kanon gearbeitete dritte Satz durch passgenaues Zuspiel der Solistinnen und vom Orchester selbstbewusst eingeworfene Tuttiritornelle.
Der Weg von Karfreitag bis zum Ostermorgen schien vorbereitet zu sein – musica saluture entließ das Publikum mit einem Vorgeschmack auf die zu erwartende Auferstehungsfreude.